Einblicke in ein Mutterherz

 

Das hatte sie nie gewollt. Nein, DIESES Kind wollte sie nicht! Sie konnte, wollte und würde sich nicht mit diesem Geschöpf verbinden … nicht mit diesem Kind!

 

Alles hatte in ihren Träumen so gut angefangen: Sie wollte ein Kind, ja. BEVOR es auf die Welt kam, war es ein Wunschkind … aber sie durchschaute nicht, WELCHEN krankhaften Bedürfnissen dieser Wunsch entsprang. Es ging beileibe nicht um das Kind. Das Kind war nur ein Mittel zum Zweck - den es leider nicht in der Lage war, zu erfüllen, wie sich bald herausstellen würde. Aber von all dem ahnte sie jetzt noch nichts:

 

Sie stellte sich vor, wie sie Bestätigung und Anerkennung aus der Existenz des Kindes ziehen würde. Noch bevor sie überhaupt schwanger war, stellte sie sich bereits vor, wie sie von der Familie, von Freunden, von der Gemeinde als Mutter bewundert werden würde – für dieses Kind, mit diesem Kind. Sie würde stolz auf das Kind sein, und die Menschen würden stolz auf sie sein. Ihr Ehemann würde ihr endlich die ersehnte Anerkennung zukommen lassen und sich liebevoll um sie kümmern. Und auch dieses Kind würde sie lieben und bewundern. Alle würden endlich ihre verborgenen Wert und ihre bisher verkannten Qualitäten erkennen und anerkennen. Sie würde eine perfekte Mutter abgeben – und alle müssten es eingestehen! Sie würde es ihnen beweisen …

 

Doch dann,

 

noch bevor das Kind überhaupt geboren war, lief alles ganz anders, als sie es erwartet hatte. Niemand konnte sich so recht über die baldige Schwangerschaft freuen: “Das hätte doch noch ein wenig Zeit gehabt!”, bekam sie nicht nur einmal zu hören, und ihre Traumvorstellung begann bereits einen leichten Knacks zu bekommen. Es war eine schwierige, langwierige und schmerzhafte Geburt. Sie gab kein gutes Bild ab, als sie dort im Kreissaal darauf wartete, als perfekte Mutter ihr perfektes Kind zu gebären. Eine starke Erkältung hatte sie in den letzen Wochen der Schwangerschaft zusätzlich geschwächt, und sie war beinahe am Ende, hatte keine Kraft mehr. Nichts war von ihrer schönen und romantischen Vorstellung darüber, wie es sein würde, Mutter zu werden, geblieben.

 

Und nach der Geburt entwickelten sich die Dinge sehr bald so, dass ihre Wünsche innerhalb kürzester Zeit wie Seifenblasen zerplatzten:

 

Dieses Kind war in keinem Bereich so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Es sah anders aus, und es verhielt sich auch nicht so, dass es ihr Bewunderung eingebracht hätte. Wenn es ein Junge geworden wäre, hätte er Volker geheissen. Aber nun war es ein Mädchen. Mit vielen schwarzen Haaren und einem verknautschten, winzigen Gesicht, das - zumindest in ihren Augen – nicht viel mit dem Wonneproppen aus ihren Träumen gemein hatte.

 

Doch noch schlimmer als das ungewohnte Aussehen war, dass dieses Kind, statt IHR etwas zu geben, von Anfang an schier unersättliche Bedürfnisse zu haben schien, die befriedigt werden wollten. Und SIE – nur sie – war dafür zuständig, die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen und es zufriedenzustellen. Niemand half ihr. Die Grossmütter boten zwar ihre Hilfe an, doch es passte nicht in ihr Bild einer perfekten Mutter, Hilfe von anderen anzunehmen. Sie wollte und würde es alleine schaffen!

 

Sie bemerkte sehr bald, dass sie die “normalen” Bedürfnisse eines Säuglings und den Zeit- und Energieaufwand, der zu seiner Pflege notwendig ist, völlig unterschätzt hatte. Und DIESES Kind war noch dazu kein “normales” Kind, sondern ein Schreikind, das besonders viel Aufmerksamkeit forderte und offenbar nie zufrieden zu stellen war: Es trank schlecht, und erbrach sich nach jeder Mahlzeit. Es mochte und vertrug ihre Milch nicht, bekam Ausschlag, Nesselsucht und Milchschorf davon, was sie als persönliche Ablehnung des Kindes gegen sie als Mutter interpretierte, und dem Kind insgeheim übel nahm. Es war ständig krank, hatte Erkältungen, Fieber, juckende Hautausschläge, Wundsein und Ohrenentzündungen. Und es schrie. Tag und Nacht. Sie war völlig überfordert, auch wenn sie das niemals zugegeben hätte.

 

Es braucht nicht viel, um sich angesichts dieser Situation vorzustellen, dass die ersehnte Bewunderung durch die Familie, die Freunde und die Gemeinde fast vollständig ausblieb. Es erschien ihr im Gegenteil dazu eher so, als würde sie trotz aller Bemühungen den Eindruck erwecken, überfordert und hilflos zu sein und mit dem Kind nicht recht fertig zu werden. Sie entsprach offensichtlich nicht dem Bild einer perfekten und glücklichen Mutter. Warum sonst gaben ihr die Leute ständig irgendwelche Tipps oder wollten ihr Arbeit abnehmen? Bestimmt hielten sie sie für unfähig. Jedenfalls schienen die fragenden und bedeutsamen Blicke, die sie gelegentlich auffing, ihr das zu sagen. Manche sparten auch nicht mit offensichtlichen Bemerkungen über das Aussehen des Kindes (“Iiiih, die schielt ja!”) oder aufdringlichen Fragen bezüglich seines Entwicklungszustandes. Durch all diese Reaktionen sah sie sich zutiefst in Frage gestellt. Sie hatte versagt. Und sie fühlte sich sehr einsam. Niemand liebte sie mehr als vorher.

 

Und zu allem Überfluss, hatte sie nun dieses Kind am Balg … als täglichen Beweis ihrer eigenen Unfähigkeit.

 

Ein Kind, dessen Bedürfnisse sie nicht stillen konnte - und das ihre Bedürfnisse nicht im Geringsten befriedigte! Sie liebte dieses Kind nicht – und das Kind liebte SIE offensichtlich auch nicht. Sie empfand sein Schreien und seine Bedürftigkeit als offene Ablehnung gegen sich selbst und als Angriff auf ihr Muttersein. Denn wäre sie eine gute Mutter, würde ihr Kind glücklich und zufrieden sein.

 

Mehr und mehr begann sie, ihren Hass auf sich selbst, auf die Umstände, die Familie, den Ehemann, die Gemeinde (und nicht zuletzt auf Gott, der dies alles zugelassen hatte), auf das Kind zu übertragen. Erst verdeckt, was sich aber bald in offene Ablehnung zu wandeln begann:

 

Dieses Kind hatte es nicht anders verdient. Es hatte seine Aufgabe, sie glücklich zu machen, bereits in den ersten Lebensmonaten komplett verspielt. Es hatte von Anfang an gegen sie “gearbeitet” und ihr die Erfüllung ihrer Bedürfnisse verwehrt. Dieses Kind HÄTTE es gut haben und alles von ihr bekommen können …aber es hat ja nicht gewollt. Es hatte versagt. Nicht SIE hatte versagt – das Kind war schuld daran, dass alles so geworden ist! Sie hätte liebend gern alles rückgängig gemacht, wenn es nur möglich gewesen wäre. Sie verfluchte sich für die Idee, schwanger zu werden. Sie verfluchte den Tag, an dem es geschah. Und sie verfluchte dieses Kind – das nun buchstäblich zu nichts mehr zu gebrauchen war, als zusätzlicher Ballast in ihrem Leben zu sein, und ein Zielpunkt ihres Hasses. Das war der einzige Sinn, den sie seiner Existenz noch abgewinnen und geben konnte.

 

Sie würde dieses Kind zwingen, sie zu lieben. Und sie würde sich seine Liebe erkaufen, wenn sie schon nicht in der Lage war, sich diese redlich zu verdienen. Dieses Kind würde ihr gehorchen, und wenigstens so tun, als würde es sie lieben – dafür würde sie sorgen. Sie würde keine Kritik und Widerworte dulden. Niemals ...

 

 

(geschrieben als prophetischen Eindruck im März 2004 zum Thema “Die Heilung der Mutterwunde” im Rahmen eines Living-Waters-Kurses, nachdem ich Gott gebeten hatte, mir zu zeigen, WARUM meine Mutter mich denn eigentlich so gehasst und so schlimm behandelt hat)

 

© 2004 by Indy

 

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